Bundestagsabgeordneter Roderich Kiesewetter hört im Haus Benedikt viele Argumente gegen eine Vereinheitlichung der Pflegeausbildung.
„Ich habe viel gelernt, vielen Dank.“ Als Praktikant war Roderich Kiesewetter am 11. Oktober 2016 ins Seniorendomizil Haus Benedikt gekommen. Auch wenn sich die Welt eines Alten- und Pflegeheims in einigen Stunden des Aufenthalts nicht gänzlich erkundigen lässt, für das politische Berlin hatte Kiesewetter beim Abschied doch einige Notizen auf seinem Block. Der Abgeordnete hätte sogar Arbeitskleidung im Auto gehabt, um richtig Hand anzulegen, doch Heimleiterin Alexandra Watzlawek wollte doch lieber ihr Haus zeigen und dem Abgeordneten Gelegenheit geben, mit Heimbewohnern zu sprechen. Zwei solcher Praktika hat Kiesewetter in seiner Zeit als Politiker bereits gemacht, auch bei einer Tankstelle und in einer Gärtnerei hat er für einen Tag mitgearbeitet. Das Zuhören und das Zuschauen, sei ihm wichtig.
Reform der Ausbildung
Die Politik arbeitet derzeit am Pflegestärkungsgesetz III, dessen Einwurf Ende Juni im Kabinett beschlossen worden ist. In einer Anhörungsphase befindet sich eine neue Ausbildungsordnung. Während man im Haus Benedikt der Pflegereform grundsätzlich zustimmen kann, hegt man schwerste Bedenken, wenn Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Altenpflege zu einem einzigen Ausbildungsberuf formatiert werden. Lisa Maria Prinz, welche bei Compassio, der Muttergesellschaft des Hauses Benedikt, für das Personal zuständig ist, befürchtete gleich mehrere Nachteile. Die Ausbildung werde oberflächlicher und es werden sich weniger Schüler für die Altenpflege entscheiden. Und noch ein Drittes. Auch weniger Umschüler werden sich auf solch eine komplexe Ausbildung für mehrere Fachbereiche einlassen. „Die Ausbildungszahlen werden fallen“ war sich Prinz sicher und damit genau zu dem führen, was durch die Ausbildungsreform angeblich vermieden werden solle: einen Notstand in der Pflege.
Entschieden widersprach Prinz der Vermutung, bereits jetzt seien Altenpfleger Mangelware. „Die Ausbildungszahlen steigen derzeit ganz stark.“ Auch Sven Schumacher, der Landesbeauftragte des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste, sprach von einer Schizophrenie. „Wir wollen Schüler gewinnen, werden sie aber verlieren.“
Kiesewetter hielt dem entgegen, dass der Anstoß für die Reform aus der Praxis gekommen sei. „Das waren Caritas und Diakonie“, wusste Schumacher, mithin Einrichtungen, welche auch Kliniken betrieben. Grundsätzlich beklagt wurde in der Runde, dass die Altenpflege zu wenig Wertschätzung in der Öffentlichkeit genieße. Es gebe aber auch emotionale Vorbehalte, wusste Watzlawek. „Das Alter geht mit dem Sterben einher und daran will man nicht erinnert werden.“
26 Heime gehören mittlerweile zu Compassio. Um Nachwuchs für eine Ausbildung im eigenen Haus zu gewinnen, bietet das im Jahr 2005 in Ulm gegründete Unternehmen den Auszubildenden eine gute Entlohnung. Aber man sucht auch fertige Fachkräfte- und dies zunehmend im Ausland. Zur Verblüffung Kiesewetters hat Compassio bereits Kontakte nach China. Ein Schwerpunktland ist Albanien geworden. „Deutsch berauben diese Länder ihrer Fachkräfte“, wiederholte Kiesewetter einen oft gehörten Vorwürfe. Prinz sah dies anders. Man gebe gut ausgebildeten Menschen für zwei bis drei Jahre eine Chance Geld zu verdienen und ihre Kenntnisse zu erweitern, die in ihrem Land mit hoher Arbeitslosigkeit überhaupt keine Möglichkeit hätten, in ihrem Beruf zu arbeiten.
Besser als Entwicklungshilfe
Kiesewetter wollte dem nicht widersprechen. „Verdientes Geld, das in die Heimat zurückfließt, ist besser als Entwicklungshilfe. „Von einer temporären Migration hätten beide Seiten etwas. Er riet Compassio sogar auch Länder wie Ägypten, Tunesien und den Libanon für die Gewinnung von Pflegepersonal in Betracht zu ziehen. Compassio hat inzwischen eigene Sprachkurse eingerichtet mit einem Schwerpunkt auf die Begrifflichkeit in der Pflege. Auch heute bereits sind die Ausbildungsteams bewusst multikulturell, da auch die Zusammensetzung der Heimbewohner internationaler wird. Prinz wies Kiesewetter darauf hin, dass für die Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen für Menschen aus Nicht-EU-Ländern die bürokratischen Würden sehr hoch seien. Was die Ausbildungsreform anbetrifft, machte MdB Kiesewetter etwas Mut. Es sei noch ein Kompromiss denkbar.
Quelle: Südwestpresse, 13. Oktober 2016 von Günter Trittner